Mit Beschluss vom 26.10.2020 (Az.: B 4 AS 294/20 B) hat das Bundessozialgericht eine Nichtzulassungsbeschwerde des Jobcenters wegen der Übernahme von Kosten für Klassenfahrten als unzulässig verworfen. Dem vorangegangen waren Urteile des Sozialgerichts Gelsenkirchen und des Landessozialgerichts NRW. Beide hatten das Jobcenter verpflichtet, der Klägerin – die Schülerin einer Ersatzschule in NRW – die Kosten für eine Klassenfahrt nach Griechenland in Höhe von 1.000,- € zu erstatten. Mit dem Beschluss des BSG ist die Entscheidung rechtskräftig.
Im September 2018 nahm die Klägerin an einer dreiwöchigen Klassenfahrt nach Griechenland teil. Es handelte sich hierbei um eine sog. Kunstbetrachtungsfahrt, wie sie von vielen Waldorfschulen als integraler Bestandteil des Kunstunterrichts im Abschlussjahr durchgeführt wird. Vor Beginn der Klassenfahrt beantragte die Klägerin – da ihre Familie Grundsicherungsleistungen bezog - beim Jobcenter die Übernahme der Kosten für die Fahrt in Höhe von 1.000,- €. Nach § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II werden bei Schülerinnen und Schülern die tatsächlichen Aufwendungen für mehrtägige Kassenfahrten im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen als Bedarfe der Bildung und Teilhabe anerkannt. Das Jobcenter lehnte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, die Klassenfahrt entspreche nicht den schulgesetzlichen Bestimmungen, da bereits zweifelhaft sei, ob es sich bei der in den Unterricht eingebundenen Fahrt um eine Klassenfahrt handele, diese aber jedenfalls nicht den Anforderungen an die sog. „Wanderrichtlinie“ (schulrechtliche Vorschriften für Klassenfahrten) genüge. Tatsächlich sieht Ziff. 2.3 der Wanderrichtlinie vor, dass bei Schulfahrten mit einer Dauer von mehr als zwei Wochen der darüberhinausgehende Teil der Schulfahrt in die Ferien gelegt werden muss, was bei der hier streitigen Fahrt nicht der Fall war. Die Klägerin machte geltend, dass die Kunstbetrachtungsfahrt als Klassenfahrt im Rahmen der für Ersatzschulen verbindlichen schulrechtlichen Regelungen durchgeführt wurde.
Dem schlossen sich das Sozialgericht und das Landessozialgericht mit folgender Begründung an: § 28 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB II solle die gleichberechtigte Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler an Klassenfahrten ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Situation der Eltern sicherstellen und Ausgrenzung verhindern. Der Begriff der Klassenfahrt sei gesetzlich nicht definiert, allgemein werde als erforderlich angesehen, dass es um Fahrten gehe, die in der Organisationshoheit der Schule und im Klassen- bzw. Kursverband durchgeführt würden. Dies sei bei der Kunstbetrachtungsfahrt unstreitig der Fall. Weitere Vorgaben für den Begriff der Klassenfahrten mache das SGB II nicht. Die Klassenfahrt bewege sich auch im Rahmen der für Schulen in freier Trägerschaft geltenden schulrechtlichen Regelungen. Es sei unschädlich, dass die Klassenfahrt – entgegen Ziffer 2.3 der Wanderrichtlinie – nicht zu einem Teil während der Ferien stattfand, da die Wanderrichtlinie für die Ersatzschule nicht verbindlich sei. Gemäß § 100 Abs. 3 SchulG gelten die Vorschriften des Schulgesetzes nur, soweit deren Gleichwertigkeit mit den öffentlichen Schulen es erfordere bzw. wenn und soweit dies ausdrücklich bestimmt sei. Angesichts der weiten Gestaltungsfreiheit der Ersatzschulen seien inhaltliche Vorgaben zur zeitlichen Planung und Organisation der Klassenfahrt nach den schulrechtlichen Bestimmungen in NRW unzulässig. Die Gestaltungsfreiheit der Ersatzschulen finde nur dort ihre Grenze, wo es um die Einhaltung der für Ersatzschulen oder allgemein geltenden Rechtsnormen gehe. Mit der Ausgestaltung der Kunstbetrachtungsfahrt habe die Schule diese Gestaltungsfreiheit nicht überschritten.
Das LSG hat in seinem Urteil die Revision zum Bundesozialgericht nicht zugelassen. Die vom Jobcenter hiergegen eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unzulässig verworfen, da das BSG keinen Zulassungsgrund als in der gebotenen Weise dargelegt oder bezeichnet befand.
Die Entscheidung ist zu begrüßen, da sie zum einen den Privatschulen ihre nach dem Grundgesetz zugesicherte Privatschulfreiheit respektiert. Hiernach hat das Gericht zu Recht darauf abgestellt, dass schulrechtliche Regelungen nur dann auf die Ersatzschulen anwendbar sind, wenn die Gleichwertigkeit dies erfordert. Folgerichtig ist die Schlussfolgerung, dass, soweit Vorschriften nicht anwendbar sind, deren Nichtbeachtung zu keinem Verstoß führen kann. In konsequenter Weise orientiert sich das Gericht daher zunächst an dem Wortlaut der Vorschrift des § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II, der gerade keine weitergehenden Vorgaben für Klassenfahrten macht.
Die vom Jobcenter vertretene Auffassung hingegen würde dazu führen, dass hilfebedürftige Schülerinnen und Schüler an solchen Klassenfahrten nicht teilnehmen könnten. Das Fernbleiben von schulischen Gemeinschaftsveranstaltungen kann Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung besonders nachhaltig negativ prägen. Daher dient die Regelung des § 28 Abs. 2 Nr. 2 SGB II in besonderem Maße der Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Mit der Verpflichtung zur Kostenübernahme wird die Entscheidung daher auch dem Sinn und Zweck der Vorschrift vollumfänglich gerecht, die gleichberechtigte Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler unabhängig von der wirtschaftlichen Situation der Eltern zu gewährleisten.
Anja Surwehme, Rechtsanwältin, Mediatorin und Fachanwältin für Erbrecht und Sozialrecht