Die Rechtsanwältin und Medizinrechtsspezialistin Beate Bahner aus Heidelberg scheiterte am 10. April 2020 vor dem Bundesverfassungsgericht (Beschluss 1 BvQ 26/20 http://www.bverfg.de/e/qk20200410_1bvq002620.html) mit ihrem Antrag vom 8. April 2020 (http://beatebahner.de/lib.medien/Beate%20Bahner%20Eilantrag%20Bundesverfassungsgericht.pdf), mit dem sie insbesondere beantragt hatte, festzustellen, dass sämtliche Corona-Verordnungen aller Bundesländer geeignet seien, den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und die Demokratie gemäß Art. 20 Grundgesetz zu gefährden, und deswegen den Vollzug dieser Verordnungen bis zur Entscheidung der Hauptsache auszusetzen.
Das Gericht wies den Antrag als unzulässig ab. Das war zu erwarten, denn der - mit viel Engagement und Leidenschaft verfasste - Antrag wies einige gravierende handwerkliche Fehler auf, die das Bundesverfassungsgericht hinderten, eine inhaltliche Entscheidung zu fällen:
Der Feststellungsantrag, die Verordnungen gefährdeten den Bestand der Bundesrepublik und die Demokratie sei auf einen "unzulässigen Regelungsinhalt" gerichtet. Das ist evident richtig, denn aus den pauschalen Ausführungen im Antrag war eine konkrete Verletzung der Grundrechte der Antragstellerin nicht ersichtlich. Und nur eine solche hätte einen Eingriff des Bundesverfassungsgerichts gerechtfertigt.
Weiterhin rügte das Gericht, dass die Antragstellerin den Grundsatz der Subsidiarität nicht beachtet habe, also nicht zunächst den ihr offenstehenden Verwaltungsrechtsweg eingeschlagen habe, und auch nicht substantiiert dargelegt habe, warum ihr eine Einhaltung des Rechtswegs nicht möglich gewesen sei. Anmerkung dazu: Der Antragsteller im Verfahren 1 BvQ 28/20, in dem es um das Verbot von Gottesdiensten ging, hatte den Rechtsweg eingehalten und trotzdem rechtzeitig eine Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts erhalten, zwar auch negativ, aber mit einer eingehenden inhaltlichen Auseinandersetzung.
Man kann und muss der Kollegin attestieren, dass sie sich berechtigterweise Sorge um die Demokratie in Deutschland macht, wenn sie der Bundesregierung und den Landesregierungen gemeinsam (Zitat Bahner Seite 22 ihres Antrags) "einen beispiellosen Angriff gegen unsere freiheitlich demokratische Grundordnung, insbesondere gegen die unverbrüchlichen Grundrechte" unterstellt. Die Antragstellerin begründet diese Behauptung - das ist der überzeugendste Teil ihrer Antragschrift - damit, dass nicht einmal die Notstandsgesetze im Verteidigungsfall derartig weitgehende Einschränkungen der Grundrechte erlauben würden. Der Unterzeichner hat 1967 gegen die Einführung der Notstandsgesetze mit vielen Tausenden seiner Generation protestiert und kann daher die Argumentation der Antragstellerin gut nachvollziehen und schätzen. Aber die Kollegin Bahner beachtet zweierlei nicht ausreichend:
- Zum Einen sind alle Corona-Verordnungen zeitlich befristet. Das war für das Bundesverfassungsgericht entscheidend, als es das Verbot von Gottesdiensten trotz des enormen Eingriffs in das Grundrecht auf Religionsfreiheit für noch verfassungsgemäß hielt. Ich behaupte: Ohne diese klare zeitliche Beschränkung hätte das Bundesverfassungsgericht im Gottesdienst-Fall anders entschieden.
- Zum Anderen ist die Bedrohung durch die Pandemie möglicherweise (Zitat Bahner Seite 18) "durch eine beispiellose Medienkampagne", die "in wenigen Wochen in einem ganzen Volk... Panik verbreitet" hat, aufgebauscht worden, aber sie ist sicher auch nicht so harmlos, wie die Antragstellerin sie darstellt: (Zitat Seite 23) "Die Corona-Epidemie hat einen völlig normalen grippeähnlichen Verlauf, vor dem sich niemand ängstigen muss." Die Antragstellerin pauschaliert hier leider ebenso wie sie es den Behörden vorwirft.
Die Experten widersprechen sich, die Zahlen sind fragwürdig und interpretierbar, aber es gibt zweifellos gehäuft in allen Ländern Todesfälle, und mangels wirksamer Medikamente oder Impfstoffe gibt es keine andere Möglichkeit als die gesetzlich verordnete Solidarität aller, um noch mehr Sterbefälle zu verhindern. Ich erlaube mir hier noch die Anmerkung, dass die Solidarität vor allem deswegen bisher erfolgreich war, weil die allermeisten Menschen sie freiwillig leisteten. Die Verordnung allein hätte das nicht bewirkt.
Ich verstehe die Entrüstung der Kollegin sehr gut. Auch ich finde den Eingriff in unsere Grundrechte erschreckend, vor allem wie leicht das ging! Aber der Eingriff ist von vornherein befristet und - das unterstelle ich den Verantwortlichen - nur erfolgt, um uns in unserer Solidarität zu unterstützen. Die wirkliche Bewährung für den Rechtsstaat wird nach der Rückkehr zur Normalität kommen: Werden die verantwortlich Handelnden in der Politik, in den Medien und in der Wissenschaft dann der Versuchung widerstehen, die Instrumente der Krise auch zur Manipulation der Menschen zu nutzen? Werden Verfassungsgerichte das verhindern? Und werden wir selbst rechtzeitig bemerken, wann Widerstand geboten ist?
Quelle: http://www.bverfg.de/e/qk20200410_1bvq002620.html
Ingo Krampen, RA, Notar, Mediator