Ein interessanter Aufsatz mit einem bisher kaum beachteten Thema ist zu lesen im ersten Heft des Jahres 2019 der Neuen Juristischen Wochenschrift (NJW): Dort spricht sich Prof. Dr. Bülte, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht an der Universität Mannheim, vehement dafür aus, die Massentierhaltung als Straftat in den Blick zu nehmen.
Bülte untersuchte laut eigenen Angaben 38 Verfahren bei verschiedenen Staatsanwaltschaften und stellte zunächst fest, dass es zwar eine erhebliche Anzahl von Strafurteilen wegen Tierquälerei nach dem Tierschutzgesetz gibt, jedoch kaum ein Urteil wegen Tierquälerei in Agrarunternehmen mit Massentierhaltung. Warum?
Seine Antworten: Teilweise befürchten Staatsanwaltschaften, für politische Zwecke instrumentalisiert zu werden. Und teilweise besteht ein Grundsatzproblem bei der Verfolgung von Taten nach dem Tierschutzgesetz. Strafbar ist nämlich danach nur das Zufügen wiederholter oder länger anhaltender erheblicher Schmerzen oder Leiden. Dies kann oft – auch von Tierschutzverbänden – nicht nachgewiesen werden, weil Bildaufnahmen oder kurze Filmaufnahmen dafür als nicht ausreichend betrachtet werden. Bülte hält das für unvertretbar und weist darauf hin, dass damit an das Tatbestandsmerkmal „länger anhaltende Schmerzen oder Leiden“ in der Massentierhaltung erheblich höhere Anforderungen gestellt werden als z.B. bei Haustieren oder Wildtieren.
Ferner kommt der Strafrechtler zu dem interessanten Ergebnis, dass Verstöße gegen das Tierschutzgesetz durch Massentierhaltungen durchaus als Wirtschaftsstrafrecht anzusehen seien. Auch deswegen sei es unerträglich, die Nichtverfolgung solcher Straftaten hinzunehmen. Wörtlich: „Die Missachtung von Tierschutzrecht durch illegale Haltungsbedingungen führt zu Wettbewerbsverzerrungen. Der illegal handelnde Unternehmer vermeidet durch rechtswidrige Unterbringung und unzureichende Pflege Kosten und übt so auf andere Wirtschaftsteilnehmer wirtschaftlichen Druck aus. Wer wirtschaftlich überleben will, glaubt sich rechtswidrig verhalten zu müssen und zu dürfen“.
Bülte plädiert für eine effektivere Bekämpfung von Tierquälerei in der Massentierhaltung als bisher. Seine – wirklich nachdenkenswerte - Begründung: „Da das Tier von seinem Wesen her und aus seiner abhängigen Situation heraus grundsätzlich schwächer und gefährdeter ist als der Mensch, braucht es einen angemessenen Schutz. Von der deutschen Strafjustiz erfährt ihn das Tier in der Massentierhaltung jedoch nicht. Vielmehr ist Tierquälerei in der Agrarwirthaft ein blinder Fleck in der Verfolgung von Wirtschaftskriminalität“.
Ich finde: Ein wichtiger Beitrag! Und zwar auch im Hinblick auf unseren generellen juristischen Umgang mit Tieren. Die bisherige Rechtsstellung von Tieren als „Sachen“ ist mit dem heutigen Bewusstsein nicht mehr vereinbar und bedarf dringend einer grundsätzlichen Novellierung. Aber das geht über die Botschaft des Aufsatzes von Bülte natürlich noch weit hinaus.
Ingo Krampen
Rechtsanwalt, Notar und Mediator