Lebensverlängerung ist kein Schaden

Am 12. Februar 2018 hatten wir an dieser Stelle über ein Urteil des OLG München berichtet, das dem Sohn eines schwerkranken Patienten Schadensersatz in Höhe von 40.000 € zugesprochen hatte.

Der Kläger hatte gerügt, dass der Hausarzt das Leben seines Vaters sinnlos verlängert hatte. Spätestens seit Anfang 2010 sei die künstliche Ernährung medizinisch nicht mehr angebracht gewesen. Der Arzt hätte daher mit dem Betreuer die Fortsetzung oder Beendigung der künstlichen Ernährung eingehend erörtern müssen. Da er dies unterlassen habe, stelle die damit verbundene Lebens- und gleichzeitig Leidensverlängerung seines Vaters "einen ersatzfähigen Schaden" dar. Der Sohn verlangte Schmerzensgeld und Schadenersatz für Behandlungs- und Pflegeaufwendungen von insgesamt über 150.000 Euro.

Das OLG München sprach ihm mit Urteil vom 21. Dezember 2017 40.000 Euro Schmerzensgeld zu (Az.: 1 U 454/17). Im Endstadium der Demenz habe der Arzt zusammen mit dem Betreuer erwägen müssen, die Sondenernährung zu beenden und die Behandlung auf eine rein palliative Versorgung umzustellen - mit der Folge eines alsbaldigen Todes des Patienten.

Schon damals hatten wir Zweifel an der Richtigkeit dieses Urteils geäußert:

Das Urteil des OLG München wirft Fragen auf:

Kann eine Verlängerung des Lebens eines Menschen als Schaden im Rechtssinne gewertet werden? Sicher wird man Verständnis dafür haben, dass der Sohn die Auffassung hatte, der Hausarzt hätte das Leiden seines Vaters abkürzen und ihn nur noch palliativ behandeln müssen. Das mag durchaus auch im Sinne des leidenden Patienten gewesen sei.

Aber: Können tatsächlich höchstpersönliche Rechtsgüter wie das Leben eines Menschen finanziell bewertet werden und in Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldansprüche umgerechnet werden? Wie sollen Ärzte damit umgehen, dass sie sich finanziellen Ansprüchen von Erben ihrer Patienten ausgesetzt sehen, wenn sie sich im Grenzbereich von Leben und Tod nach bestem Wissen und Gewissen für eine Behandlungsform entscheiden, die naturgemäß nicht unumstritten sein kann.

Und schließlich: Widerspricht es nicht der Würde eines Menschen, und zwar gerade auch eines sterbenden Menschen, sein Leiden nachträglich zu „vermarkten“? Die Auffassung des Sohnes, man hätte seinen Vater schon früher in Frieden sterben lassen können, ist sehr verständlich. Aber dass er nachträglich finanzielle Vorteile aus dem Leiden seines Vaters zieht, welches er ja eigentlich hätte vermeiden wollen, mutet merkwürdig an. Ist es richtig, dass das Oberlandesgericht dem gefolgt ist?

Der BGH hob dieses Urteil nun auf, ließ aber offen, ob der Arzt tatsächlich seine Pflichten verletzt hatte. Der Sohn habe keinen Anspruch auf Schadenersatz und Schmerzensgeld. Es fehle an einem Schaden. "Der durch die künstliche Ernährung ermöglichte Zustand des Weiterlebens mit krankheitsbedingten Leiden" stehe dem Zustand gegenüber, "wie er bei Abbruch der künstlichen Ernährung eingetreten wäre, also dem Tod", entschied der BGH.

Bedeutung der Patientenverfügung

Das menschliche Leben sei ein "höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig". Das Urteil über seinen Wert stehe keinem Dritten zu. Der BGH betonte, dass Ärzte selbst dann kein Schmerzensgeld zahlen müssen, wenn sie sich an eine vorliegende Patientenverfügung nicht halten. "Auch wenn ein Patient selbst sein Leben als lebensunwert erachten mag" und er eine "lebenserhaltende Maßnahme gegen seinen Willen" ablehnt, stelle das Leben des Patienten kein Schaden dar, urteilten die Bundesrichter.

Dennoch ist eine Patientenverfügung für Ärzte bindend. Halte sich der Arzt nicht daran, könne der Betreuer des Patienten den Patientenwillen vor dem Betreuungsgericht durchsetzen, so die Sprecherin des BGH.

Der Kläger habe aber auch keinen Anspruch auf Ersatz der durch das Weiterleben seines Vaters angefallenen Behandlungs- und Pflegeaufwendungen, urteilte der VI. BGH-Zivilsenat. Denn Schutzzweck ärztlicher Aufklärungs- und Behandlungspflichten bei lebenserhaltenden Maßnahmen sei nicht, "dem Erben das Vermögen des Patienten möglichst ungeschmälert zu erhalten".

Quelle: https://www.epd.de/fachdienst/epd-sozial/schwerpunkt/recht/lebensverlaengerung-ist-kein-schaden

Ingo Krampen, Rechtsanwalt, Notar, Mediator

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