Corona-Urteil des Amtsgerichts Weimar: Wohl nicht übertragbar

Die Berliner Zeitung berichtete am 11. April 2021 folgendes:

Das Amtsgericht Weimar, und zwar das dortige Familiengericht, hat – gestützt auf § 1666 BGB - entschieden, dass die „Pflicht zum Maskentragen, zum Einhalten von Mindestabständen und zu Schnelltests an Schulen eine Gefahr für das geistige, körperliche oder seelische Wohl des Kindes darstellen“. Und besagte Maßnahmen untersagt. Nachdem im Netz zunächst Zweifel an der Echtheit geäußert wurden, bestätigte Steffen Dittes, stellvertretender Vorsitzender der Linken in Thüringen, die Echtheit. Das Urteil hat das Aktenzeichen Az.: 9 F 148/21.

Im Urteil heißt es, dass es den „Leitungen und Lehrern der Schulen“ zweier Kinder, deren Eltern vor Gericht gezogen waren, untersagt wird, „für diese und alle weiteren an diesen Schulen unterrichteten Kinder und Schüler folgendes anzuordnen oder vorzuschreiben: Im Unterricht und auf dem Schulgelände Gesichtsmasken aller Art, insbesondere Mund-Nasen-Bedeckungen, sog. qualifizierte Masken (OP- oder FFP2-Maske) oder andere, zu tragen, Mindestabstände untereinander oder zu anderen Personen einzuhalten, die über das vor dem Jahr 2020 Gekannte hinausgehen, sowie an Schnelltests zur Feststellung des Virus Sars-CoV-2 teilzunehmen“.

Seine Entscheidung begründet der Richter unter anderem mit dem laut Gericht „fehlenden Nutzen des Maskentragens und des Einhaltens von Abstandsvorschriften für die Kinder selbst und Dritte“. Zudem führt der Richter die nach seiner Einschätzung „Ungeeignetheit von PCR-Tests und Schnelltests zur Messung des Infektionsgeschehens“ als einen der Gründe für sein Urteil an.

Steffen Dittes, der stellvertretende Vorsitzende der Linken im Thüringer Landtag bestätigte am Sonnabend mittlerweile die Echtheit des Urteils. Dittes schrieb bei Twitter: „Entscheidung des AG Weimar ist bekannt.“ Zugleich übte er scharfe Kritik an dem Urteil.

Dittes weiter: „Erkenntnisse zu Infektionen insbesondere bei den Mutanten wurden verantwortungslos ignoriert, höchst umstrittene Auffassungen einer Gutachterin zur Grundlage der Entscheidung gemacht, die Schüler*innen und Lehrer*innen gefährdet.“ Eine offizielle Stellungnahme des Weimarer Amtsgerichtes gab es bislang nicht. Da es sich um ein Urteil in erster Instanz handelt, kann Einspruch eingelegt werden. Der Rechtsstreit geht in diesem Fall zu erneuten Entscheidung an die nächsthöhere Instanz. Nach Angaben von Steffen Dittes prüfen sowohl das Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport als auch das Justizministerium „Rechtsmittel zur schnellen Überprüfung der einstweiligen Anordnung im weiteren gerichtlichen Verfahren“.

Das Amtsgericht Weimar hatte erst im Januar einen Angeklagten freigesprochen, der wegen Verstößen gegen die Thüringer Corona-Verordnung vor Gericht stand. Im damaligen Urteil wurde das allgemeine Kontaktverbot im ersten Lockdown 2020 als unverhältnismäßig und verfassungswidrig eingestuft. Dieser Fall liegt mittlerweile beim Oberlandesgericht Jena.

(https://www.berliner-zeitung.de/news/urteil-in-weimar-keine-masken-keine-tests-und-kein-abstand-mehr-fuer-schueler-li.151838)

Das Urteil aus Weimar ist zweifelhaft, und zwar aus folgenden Gründen:

  • Es gibt zu diesem Urteil bisher weder eine offizielle Pressemitteilung noch den Text oder zumindest den Tenor im Wortlaut. Die einzige Fundstelle für das Urteil – aber ohne Kopf und ohne Unterschriften der Richter - ist bisher (11.4.2021) eine Anwaltswebsite (https://www.kanzlei-hersbruck.de/beschluss-ag-weimar-08-04-21/)

  • Das Familiengericht erklärt sich hier für eine Entscheidung zuständig, für die üblicherweise das Verwaltungsgericht zuständig wäre, nämlich die Corona-Schutzvorschriften für unwirksam zu erklären.

  • Auf 178 Seiten (extrem ungewöhnlich für ein amtsgerichtliches Urteil) wird massive Kritik an Maskenvorschriften und PCR-Tests zitiert. Herangezogen wurden vom Gericht drei Gutachter*innen, die nach Ansicht des Thüringer Bildungsministeriumsalle als Kritiker der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie bekannt sind und wissenschaftliche Außenseiterpositionen vertreten.

  • Das Bildungsministerium Thüringen gab folgende Stellungnahme ab: Es sei zweifelhaft, ob der Beschluss wegen vieler Ungereimtheiten überhaupt irgendeine rechtliche Wirkung habe. In jedem Fall betreffe er nur die zwei Kinder, deren Mutter vor Gericht gezogen war. Ansonsten gelten an den zwei Schulen in Weimar und im ganzen Freistaat die Infektionsschutzmaßnahmen (...) unverändert". Das Gericht könne – wenn überhaupt – nur Entscheidungen für die Menschen treffen, die am Verfahren beteiligt sind – also nicht für andere Kinder. Das Ministerium listet aber auch eine Reihe möglicher Rechtsfehler auf und kommt generell zu dem Schluss: "Der Beschluss wirft gravierende verfahrensrechtliche Zweifel auf." (https://www.t-online.de/nachrichten/deutschland/id_89821094/familiengericht-in-weimar-untersagt-schulen-maskenpflicht.html)

Fazit: Man muss nicht alles richtig finden, was Behörden als Corona-Maßnahmen anordnen. Aber so, wie das Weimarer Gericht sämtliche Maßnahmen für falsch und rechtswidrig erklärt, geht es nicht: Das ignoriert völlig, dass Covid-19 eine gefährliche Krankheit ist, und dass die zuständigen Behörden alles versuchen, um diese Gefahr einzudämmen.

Sicher ist: Das Urteil eines Familiengerichts aus Thüringen, das den konkreten Einzelfall von zwei Schüler*innen aus Weimar betrifft, hat keine Präzedenzwirkung für Schulen oder Schüler*innen in NRW, schon gar nicht für Ersatzschulen.

Nachtrag: Inzwischen gibt es ein zweites familiengerichtliches Urteil mit dem gleichen Tenor, nämlich AG Weilheim, 2 F 192/21. Dieses Urteil liest sich überzeugender als das Weimarer Urteil, hat aber auch den Mangel, dass es sehr einseitig nur die Probleme der behördlichen Maßnahmen aufgreift, ohne die Gefahr der Pandemie ausreichend zu berücksichtigen. Das AG Weilheim geht richtigerweise nur von einer Rechtswirkung zwischen den unmittelbar Betroffenen aus.

Ingo Krampen, Rechtsanwalt und Mediator, Notar a.D.

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